Agnes und der Roboter

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Agnes wollte sich gerade noch einmal gemütlich im Bett umdrehen, als sie eine mechanische Stimme hörte, an die sie sich noch nicht gewöhnt hatte. Zuerst dachte sie, es sei ihr Papagei Paul, der sie wecken wollte und seine Stimme verstellt hatte, aber dann wusste sie, es war ihr neu erworbener Hausgenosse John. John war ein moderner Roboter, der ihr alle lästigen Haushaltspflichten abnahm, so dass sie sich in der Zwischenzeit um weniger zeitraubende Dinge kümmern konnte. Er war hübsch, wohlerzogen, immer zur Stelle, wenn sie ihn brauchte, gefügig und verständig. Sie konnte ihn auch einfach mal in die Ecke stellen, wenn sie genug von ihm hatte. Obwohl sich dann ihr schlechtes Gewissen meldete, als wäre John ein ganz normaler Mensch.

Ihr Papagei Paul war seit sechs Jahren festes Familienmitglied und der Mittelpunkt in ihrem Leben. Doch seit John bei ihnen lebte, fühlte er sich zurückgesetzt und schmollte. Sie hatte gehofft, er würde sich an ihn gewöhnen. Aber Paul war eifersüchtig und noch immer beleidigt. Wenn Agnes gerade einmal nicht hinsah, flog er schnell zu seinem Erzfeind, pickte auf ihm herum und krähte laut „Hau ab.“ Dabei schaute er Agnes triumphierend an.

Es schien ihm auf einmal Spaß zu machen, sie zu ärgern. Bevor John in ihre kleine Familie gekommen war, hatte sie sich immer auf Paul gefreut, ihm neue Wörter und Sätze beigebracht, seinen Kopf gekrault, was er besonders gern mochte und mit einem Papageienlächeln quittierte und ihn einfach gern um sich gehabt. Aber seit John da war, hatte ihrer beider Leben eine andere Wendung genommen. Er flog aufgeregt auf seine Schaukel, wenn sie mit ihm schimpfte, weil er wieder einmal auf John herumhackte und war den ganzen Tag missmutig. Dann steckte er seinen Kopf in sein Gefieder und sprach kein Wort mehr mit ihr.

Agnes hatte schon ernsthaft überlegt, eine Beratungsstelle aufzusuchen, hatte diese Idee jedoch wieder verworfen. Ihre Angelegenheit war zu speziell, da musste sie selbst eine Lösung finden.

Als sie eines Tages müde nach der Arbeit nach Hause kam und sich freute, die Beine hochzulegen, konnte sie kaum glauben, was sie sah. John war über und über mit Papageienkot bekleckert und Paul saß triumphierend auf seinem Kopf und krähte zufrieden. Wenn sie nicht so wütend gewesen wäre, hätte sie fast darüber lachen müssen.

Aber so ging sie nur traurig in die Küche, bereitete sich einen Tee zu und dachte angestrengt über eine Lösung nach. Paul flog zu ihr, steckte sein Köpfchen in die Teetasse, nippte daran und schaute sie von der Seite schuldbewusst an. Bei seinem Anblick wurde ihr warm ums Herz. Wenn sie an die letzten sechs Jahre zurückdachte, die sie zusammen durch dick und dünn gegangen waren, konnte kein noch so charmanter Roboter damit mithalten.

Nachdem sie ihren Tee getrunken hatte, stellte sie ihre Tasse in die Spülmaschine und besah sich noch einmal die Unordnung, die Paul angerichtet hatte. Doch konnte sie ihm nicht böse sein. Er war ein lebendiges Wesen und unschuldig wie ein kleines Kind. Agnes holte aus der Kammer neben der Küche Besen und Schaufel und beseitigte die Exkremente von Paul, der jeden ihrer Handgriffe genau beobachtete. Dabei legte er den Kopf schief, blinzelte und deutete ihre Arbeit ganz richtig für die Entscheidung, die sie getroffen hatte. John würde verschwinden, wie er gekommen war und sie beide wieder einträchtig miteinander leben.

Glücklich flog er zu seinem Sitzplatz, pfiff ein Liedchen und freute sich über seinen Sieg. Als Agnes ihn kraulen wollte, hielt er seit langem wieder einmal sein Köpfchen ganz still und ließ sie gewähren.


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Von Elli Janke

Ich bin die Begründerin von federundpinsel.de. Meine Begeisterung für das Erzählen von Geschichten sowie der freien Malerei möchte ich hier mit euch teilen. Ich liebe es, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Wenn ihr mehr Informationen über mich möchtet, findet ihr sie in der „Über mich“ Seite. Wenn euch meine Bilder und Texte gefallen, dann freue ich mich über eure Unterstützung und Empfehlung. Wie ihr mich unterstützen könnt? Ihr findet diverse Möglichkeiten im Blog unter „Unterstützen“. Die hier veröffentliche Lyrik und Prosa ist kostenfrei für euch. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen, Hören und Schauen.

Ein Kommentar

  1. Liebe Elli,
    wieder hast du so eine schöne, phantasievolle Geschichte geschrieben, die man mit dem realen Leben vergleichen kann!
    Man muss sich mit seinem Leben auseinandersetzen, nicht immer ist das Neue, was man ersehnt und sich letztendlich gegönnt hat, besser. Alles im Leben hat 2 Seiten, die man beleuchten muss und danach muss man, um zufrieden und glücklich zu sein und bleiben, bzw. wieder zu werden, Prioritäten setzen. Der Mensch (und hier ja auch das Tier 🙂 ) sind Gewohnheitstiere.
    Man hat durch die Neuerung, wie hier den Roboter, manche Vorteile und damit mehr Zeit. Dagegen halten muss man aber, ob diese Neuerung wirklich besser ist und die dadurch gewonnene Zeit auch dieselbe Lebensqualität bieten, oder ob dadurch auch viel Schönes verloren geht, was einem vorher garnicht bewusst war. Deine Protagonistin Agnes hat diesen Prozess durchlebt. Erst genoss sie die Freude an der Neuerung, aber dann wurde ihr bewusst, dass sich ihr Papagei so eben nicht mehr wohlfühlt und er sich von ihr zurückzieht, gleichzeitig aber protestiert, ihr also die Chance gibt, die Fakten wieder zu ändern. Dadurch erkennt sie, dass sie es mit John doch eigentlich sehr schön hatte und dass das Neue eben nicht immer besser ist. Nun muss sie entscheiden, ob ihr das neue Leben mit dem Roboter (der ja als John auch schon namentlich erfasst ist) und die damit einhergehende Veränderung wichtiger ist, als die bisherige Beziehung zu ihrem Papagei Paul, oder ob ihr dessen (lebendige) Zuwendung doch mehr bedeutet. Sie erkennt, dass sie einen Fehler gemacht hat und bringt den Mut auf, alles wieder in Ordnung zu bringen.
    Dadurch werden beide Seiten wieder glücklich.
    Besser der Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach? Nein! Hier wurde der Spatz zur Taube, Agnes ist glücklich und ihre „Taube“ Paul ist es auch wieder!

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